Interview Teil 1

Die Apotheke der Zukunft

Die Transformation zur multidimensionalen lokalen Marke

Die Apotheke wird im Zuge der Digitalisierung zur zentralen Schnittstelle zwischen den beteiligten Institutionen. Neben der Bewältigung der technischen Herausforderungen ist die engagierte soziale Kommunikation mit den Patient:innen ein maßgeblicher Erfolgsfaktor.

Interview mit Dr. Stefan Schwenzer, Inhaber der KOSMOS Apotheke Bremen und Vorstandsmitglied der Apothekerkammer Bremen mit dem thematischen Schwerpunkt Digitalisierung. Bis 2017 Seniorreferent der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und stellvertretendes Mitglied der Koordinierungsgruppe für den Aktionsplan zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland.

Dr. Schwenzer leitet eine der umsatzstärksten Bremer Apotheken in dritter Generation. Er ist approbierter Apotheker und verfügt über einschlägige Erfahrungen im Bereich Digitalisierung, Softwareentwicklung und eHealth. Durch umfassende Fachkenntnis, gewachsenen Erfahrungsschatz und vor allem sein großes Interesse an Innovationen und dem gesundheitspolitischen Diskurs hat Stefan Schwenzer sich als Kenner der Branche und deren Mechanismen etabliert.

In diesem ausführlichen Gespräch mit dem Medienentwickler, Autor und Online-Redakteur Frank Wohlgemuth teilt er seine Beobachtungen und Erfahrungen im Hinblick auf komplexe Zusammenhänge im Verhältnis zwischen Apotheken, Kund:innen und allen beteiligten Institutionen.

Er liefert Antworten und Einblicke zum vielschichtigen Anforderungsprofil der „modernen Apotheke“ und deren Transformation zu einer mehrdimensionalen lokalen Marke.

Frank Wohlgemuth (W):
Herzlich willkommen Dr. Schwenzer, es freut mich sehr, Sie zum Interview begrüßen zu dürfen. Ich bin gespannt auf Ihre Ausführungen zum Thema. Sie sind seit Jahren unmittelbar in den Diskurs involviert und haben sich eine besondere Perspektive erarbeitet:

Bevor wir in die Details eintauchen, würden Sie bitte eine kurze Zusammenfassung des Status Quo des deutschen Gesundheitswesens und die Rolle der Apotheke darin geben? Welche wissenschaftlichen, technischen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen sind relevant für eine zukunftsorientierte Positionierung der Apotheke?

Dr. Stefan Schwenzer (S):
Hallo Herr Wohlgemuth, vielen Dank für die Einladung und die Gelegenheit, an dieser Stelle einmal ein ausführlicheres Bild der aktuellen Situation und der sich daraus ergebenden Problemstellungen und Möglichkeiten aufzuzeigen.
Das deutsche Gesundheitswesen steht vor einer Reihe an Herausforderungen, darunter die Überalterung der Gesellschaft, der Fachkräftemangel und die Abhängigkeit von internationalen Lieferketten, die unter anderem die derzeitigen Lieferengpässe bei den Arzneimitteln verursacht. Die Folgen der Pandemie, des Klimawandels, des Krieges und sonstige globale politische u. wirtschaftliche Veränderungen werden hier unmittelbar spürbar. In diesem komplexen Kontext nimmt die Apotheke eine zentrale Position ein.

W:
Was muss Ihrer Meinung nach die moderne Apotheke leisten, um diese zentrale Rolle als Bindeglied zwischen den beteiligten Institutionen auch erfolgreich auszufüllen?

S:
Eine moderne Apotheke muss sich vor allem beweglich zeigen. Für mich bedeutet das, dass man Veränderungen nicht über sich ergehen lässt, sondern sie als Chance nutzt und aktiv mitgestaltet. Dabei spielt die Digitalisierung natürlich eine entscheidende Rolle. Sie kann helfen, adäquate Lösungen zu entwickeln und beispielsweise für Entbürokratisierung zu sorgen. Das E-Rezept bietet hier große Chancen, die leider noch nicht vollständig genutzt werden. Die Digitalisierung bietet uns aber auch ganz neue Möglichkeiten, mit unseren Kund:innen in Kontakt zu kommen.
Apotheken müssen heute in der Lage sein, sämtliche Kommunikationskanäle effektiv zu bespielen, um mit den Bedürfnissen und Erwartungen der Kund:innen und gesellschaftlichen Entwicklungen Schritt halten zu können.

W:
An dieser Stelle würde ich gern schon einen Exkurs zum Thema E-Rezept machen wollen. Vielleicht können Sie anhand dieses Beispiels einen Überblick geben, inwieweit die Digitalisierung die gewohnten Prozesse verändert hat. Lässt sich das Ausmaß dieses Umbruchs an der schleppend verlaufenen Einführung ablesen?

S:
Zunächst will ich betonen, dass das E-Rezept viele Chancen bietet und die Prozesse perspektivisch für alle Beteiligten erleichtern wird. Aber ja: die Fülle an Komplikationen bei der Einführung lässt in gewissem Sinne die Komplexität des Umbruchs erkennen. Es ist eine große Zahl an Akteuren und Schnittstellen involviert und es sind viele Prozesse zu berücksichtigen. Hier wurden im Rahmen der Einführung – auch unter politischem Druck – einige Schritte zu schnell gemacht, so dass manches unberücksichtigt blieb und uns später auf die Füße fiel. Aus meiner Erfahrung als Projektleiter der KBV für die Einführung des bundeseinheitlichen Medikationsplans (bMP) kann ich sagen, wie wichtig es ist, alle Akteure frühzeitig einzubinden.
Das E-Rezept ermöglicht grundsätzlich wichtige Schnittstellen zu weiteren neuen digitalen Anwendungen. Von der automatischen Medikationserinnerung per App bis hin zum E-Medikationsplan (eMP) in der elektronischen Patientenakte (ePA) und einem darauf basierenden softwaregestützten Medikationscheck. So kann überprüft werden, ob alle Arzneimittel untereinander verträglich sind, Doppelmedikation vorkommt oder die Dosierung angepasst werden muss. Hierbei können auch KI-basierte Softwarelösungen zum Einsatz kommen.
Trotzdem glaube ich fest, dass ein wirklich effektives Medikationsmanagement, d. h. die professionelle Pflege, Bewertung und ggf. Aktualisierung des Medikationsplans, das persönliche Gespräch mit den Patient:innen erfordert. Das kann nur die Apotheke vor Ort leisten, auch wenn E-Rezept und Co dabei eine wichtige Hilfe sind.

W:
Für die Übermittlung des E-Rezepts wird die Telematikinfrastruktur (TI) im Gesundheitswesen verwendet. Ist das wirklich sicher? Was, wenn sich der einmal eingeschlagene Weg im Realitätscheck als zu komplex und schwer kontrollierbar erweist?

S:
Die TI ist das sichere Informations- und Kommunikationsnetz im Gesundheitswesen, das Praxen, Krankenhäuser, Apotheken und weitere Leistungserbringereinrichtungen im Gesundheitswesen miteinander verbindet, so dass die an der Versorgung Beteiligten besser und schneller miteinander kommunizieren können. Dabei sind die Daten verschlüsselt und der Zugang ist nur mit entsprechenden Sicherheitsschlüsseln, wie z. B. dem elektronischen Heilberufsausweis möglich. Das hohe Datenschutzniveau ist sinnvoll, aber zugleich eben auch ein Problem, denn neue Anwendungen müssen den Datenschutz entsprechend berücksichtigen. Eine weitere Herausforderung ist die Ausfallsicherheit der TI. Denn diese ist von drei Faktoren abhängig: Verfügbarkeit der Server, Verfügbarkeit des Internets und Verfügbarkeit von Strom. Wir wissen aus Erfahrung, dass alle drei Faktoren nicht immer zu 100% verfügbar sind. So waren die TI-Server kurz nach dem Startschuss für das E-Rezept Anfang Juli für mehrere Stunden in ganz Deutschland nicht erreichbar. Stellen Sie sich nun vor, das E-Rezept läuft flächendeckend und an einem Freitagnachmittag fällt die TI aus. Dann können die Apotheken kein E-Rezept mehr abrufen und beliefern. Arztpraxen sind zu dieser Zeit oft nicht mehr erreichbar. Was machen wir also mit Patient:innen die dringend ein Medikament für das Wochenende benötigen? Schicken wir die alle in die ohnehin schon überlaufenen Notaufnahmen? Hier muss unbedingt an einem Ausfallkonzept gearbeitet werden.

W:
Seit Kurzem sollen sämtliche Apotheken theoretisch in der Lage sein, E-Rezepte regulär einzulösen und zu bearbeiten. Ist die Einführung damit abgeschlossen und funktioniert die Einlösung nun auch mit der eGK (elektronische Gesundheitskarte)?

S:
Die Apotheken sind bereits seit längerem flächendeckend in der Lage E-Rezepte einzulösen. Lediglich der neu hinzugekommene Einlöseweg über die eGK konnte aufgrund der Kürze der Zeit noch nicht in allen Apothekensoftwaresystemen umgesetzt werden. Einen festen Zeitpunkt für den Start des Angebots in alle Apotheken kann man daher nicht nennen. Das Einlösen über die gematik-App oder den von der Arztpraxis ausgedruckten Barcode-Token ist aber schon lange möglich.
Die Digitalisierung und die damit verbundenen Herausforderungen dürfen aber den Blick nicht vom Wesentlichen ablenken: Die vertrauensvolle Beziehung zu unseren Kund:innen. Um hier bestehen zu können, muss in der Apotheke die Schärfung des eigenen Unternehmensprofils nach wie vor im Vordergrund stehen. Ein profiliertes Erscheinungsbild – auch aber nicht nur digital – mit einer klaren Botschaft der Kompetenz und des Vertrauens ist aus meiner Sicht unerlässlich.

W:
Zusammen genommen klingt das alles wirklich nach einer überaus anspruchsvollen vielschichtigen Aufgabenstellung. Ohne eine strategische Ausrichtung auf verschiedenen Ebenen und eine klare Definition der Ziele kann das wohl kaum gelingen.
Lässt sich das Konzept der „Corporate Identity“ als markt- und sozialstrategisches Werkzeug aus Ihrer Sicht auch auf das Anforderungsprofil der Apotheke anwenden?

S:
Auf jeden Fall.
Wenn Sie das Ziel haben, Ihre Apotheke wiedererkennbar und dauerhaft im Kopf Ihrer Kund:innen zu etablieren ist Corporate Identity ein Muss. Dazu braucht die Apotheke einen konsistenten und authentischen Auftritt mit klaren Botschaften, die die eigenen Kernkompetenzen in den Fokus stellen.
Apotheken können die Kundenbindung vor Ort durch eine nachhaltige Betreuung und Beratung kontinuierlich ausbauen. Dabei kommt dem Team eine wichtige Rolle zu. Mitarbeiter:innen werden zu Markenbotschafter:innen, die das Vertrauen der Kundschaft in die eigene Apotheke und die Marke stärken sollen. Eine weitere wichtige Rolle spielt natürlich die Medienpräsenz. Eine umfassende Medienpräsenz bedarf einer guten strategischen Vorbereitung. Sie dient nicht nur dazu, mit den Kund:innen in Kontakt zu bleiben und sie zu informieren, sondern vor allem dazu, das Identitätsbild der Apotheke allmählich fest in deren Wahrnehmung und Empfindungen zu verankern.

W:
Welche Maßnahmen empfehlen Sie konkret, um die Außenwahrnehmung zu optimieren und die Kund:innenbindung zu stärken?

S:
Den Ausgangspunkt in unserer Apotheke bildet eine stark kund:innenorientierte Philosophie, die von uns im täglichen Umgang mit den Kund:innen gelebt wird. Sie bildet das Grundgerüst für sämtliche flankierenden Aktionen. Zwingend notwendig ist natürlich ein konsistenter visueller Auftritt vor Ort und in allen Medien. Mit spezifischen lokalen Aktionen wird die innovative und nachhaltige Orientierung unserer Apotheke immer wieder herausgestellt.

W:
Um Kund:innen zu überzeugen und Vertrauen aufzubauen, ist die Rolle der Mitarbeiter:innen entscheidend. Welche Maßnahmen unternehmen Sie konkret für die Wahrnehmung „nach innen“ und in Bezug auf die Mitarbeiter:innenführung?

S:
Unsere Mitarbeiter:innen können sich auf ein Leitlinienkonzept stützen, das zur Kund:innenkommunikation entwickelt wurde. Eine gute interne Kommunikation und eine offene Unternehmenskultur sind entscheidend, um das Team zu motivieren und für einen überzeugenden Auftritt zu sorgen. Regelmäßige Schulungen und Fortbildungen tragen dazu bei, das Fachwissen und die Kompetenz der Mitarbeiter:innen zu stärken. Es ist auch wichtig, ein angenehmes Arbeitsumfeld zu schaffen, das die Mitarbeiter:innen inspiriert und ihnen ermöglicht, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Bei alledem darf auch der Spaß nicht zu kurz kommen. Mir ist es wichtig, dass mein Team mit Freude und Spaß bei der Arbeit ist, auch das überträgt sich als positiver Eindruck auf die Kund:innen.

W:
Hilft ein attraktives Marken-Erscheinungsbild mit klarem Profil und Zielsetzungen auch bei der Rekrutierung von neuen Mitarbeiter:innen?

S:
Ja, das kann ich durchaus bestätigen. Fachkräfte überlegen sich heutzutage ganz genau, welches Arbeitsumfeld das richtige für sie ist. Klare Strukturen und eine professionelle Kommunikation nach außen und innen spielen eine große Rolle. Die Mitarbeiter:innen wollen und müssen sich mit dem Unternehmen identifizieren können, damit sie ihr volles Potenzial in den Dienst der Marke stellen können.
Auch aus der Perspektive der potenziellen Mitarbeiter:innen, die auf der Suche nach ihrem neuen Wirkungskreis sind, ist eine sehr gute Sichtbarkeit der Apotheke auf allen Kanälen der Erfolgsschlüssel für beide Seiten (Stichwort Social Recruiting).
Eine Entscheidung wird auch hier von der Menge und natürlich der Qualität (positiver) Informationen im Vorfeld stark beeinflusst. Je plastischer und attraktiver sich das Erscheinungsbild der Apotheke als Marke in den Medien darstellt, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Fachkräfte sich für dieses Unternehmen entscheiden.

Lesen Sie auch die übrigen Teile des Interviews. Hier gelangen Sie direkt dorthin:

© Interview mit Dr. Stefan Schwenzer und Frank Wohlgemuth. Teil 3 veröffentlicht am 08. April 2024, Teil 1 u. 2 veröffentlicht am 10. September 2023, alle Rechte vorbehalten

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